Damit die Seele nachkommt
Ein Wochenende steht bevor. Was haben Sie an ihm vor? Abschalten von der Arbeit? Sich Zeit nehmen und gönnen? Für Familie und Freunde, fürs Feiern und die Freude am Leben? Oder brauchen Sie die Zeit dringend, um zu erledigen, was liegen geblieben ist und in der Woche nicht zu schaffen war? Und wenn Sie zu denen gehören, die sonntags arbeiten müssen: Gönnen Sie sich dann wenigstens einen anderen freien Tag in der Woche?

Den "Feier"-Tag, den Abstand vom Alltag haben wir dringend nötig: Der Leistungs- und Konkurrenzdruck, das Tempo in der Arbeitswelt werden immer höher. Mit der Gefahr, dass schließlich das Leben nur noch aus Arbeit besteht. Dass man den eigenen Wert nur noch nach der erbrachten Leistung bemisst. Bei vielen ist die Grenze der Belastbarkeit erreicht. Immer öfter bescheinigen Ärzte vor allem engagiert arbeitenden Menschen "Burnout" - ausgebrannt und leer bleiben sie auf der Strecke. Ohne Pausen, ohne Feiertag kann Arbeit krank machen - nicht nur seelisch sondern auch körperlich.

Wahrscheinlich stehen die meisten von uns in Gefahr, alles, was sie tun, unter dem Blickwinkel der Nützlichkeit und Verwertbarkeit zu betrachten. Nur wenige schaffen es, sich einmal 10 Minuten an einen ruhigen Ort zu setzen, die Hände in den Schoß zu legen und nichts zu tun, nur einfach da zu sein. So etwas gilt als "nutzloses Herumsitzen" - schenkt in Wirklichkeit aber Abstand und macht wieder offen für das, was auf mich zukommt.

Es gibt die kurze Geschichte über den Indianer in Nordamerika, der erstmals in seinem Leben in einem schnellen Auto mitfährt. Nach 50 km lässt er anhalten, steigt aus und setzt sich an den Straßenrand. Der dynamische Autofahrer fragt: "Was soll das denn nun?" Der Indianer sagt: "Ich sitze hier und warte, dass meine Seele nachkommt."

Wir brauchen eine "Entschleunigung" unseres Alltags, eine gemächlichere Gangart, wenigstens einmal in der Woche. Damit unsere Seele nachkommt, die vielen Eindrücke verarbeiten kann und wir wieder zu uns selbst finden.

Jesus hat sich aus dem Trubel immer wieder in die Einsamkeit zurück gezogen, damit seine Seele nachkommen konnte. Darüber hinaus suchte er dort das Gespräch mit Gott. Nannte ihn "Vater", weil er sich geliebt wusste und den Weg gezeigt bekam, neue Kraft fand.

Solch ein Ort tut auch uns gut: Ein Tag in der Woche, an dem wir tun dürfen, was schön ist - und nicht, was sein muss. Wir bringen unsere Seelen ins Lot. Gott hat uns den Sonntag, den "Feier"-Tag geschenkt, samt dem Gottesdienst: Als Möglichkeit, über den engen Alltagshorizont hinaus zu schauen und zu entdecken, was das Menschsein ausmacht.

Ich wünsche Ihnen ein gesegnetes, erholsames Wochenende.

Johannes Fritzsche
("Wort zum Sonntag" in der Gießener Allgemeinen Zeitung am 13. Juni 2009